Textprobe

Wichtig ist auf'm Stand

(* frei nach Alfred „Adi“ Preißler)

Unser Messetester und Coach Lars B. Sucher beschäftigt sich diesmal mit dem Thema Messetraining. Mit der Erfahrung aus unzähligen Messeschulungen und Teamvorbereitungen weiß er genau, worauf es ankommt, um im entscheidenden Moment zur Stelle zu sein und die sich bietenden Chancen eiskalt zu nutzen. Lesen Sie in unserer neuen Kolumne, was er von der Außenlinie aus beobachtet hat.

„Los geht’s“, die Messe läuft und ich blicke erwartungsvoll ins weite Rund. Das Team hat in den letzten Tagen intensiv trainiert. Es wurden die Strategie und die Taktik besprochen, Positionen festgelegt und Standards einstudiert. Die Mannschaft ist hochmotiviert und hat sich auf die kommende Herausforderung eingeschworen. Aber reicht das, um im internationalen Geschäft zu bestehen? Wir werden sehen.

Die ersten Minuten sind von der Vorsicht geprägt. Kaum einer der Screener begibt sich in Eins-zu-Eins-Situationen. Selbst Kollegin Müller, sonst immer eine der Aktivposten, hält sich noch zurück. Doch da, wie aus heiterem Himmel, die erste gelungene Aktion. Herr Schubert, wagt einen Vorstoß und steht goldrichtig, als zwei Brasilianer den Stand passieren wollen. Das macht er gut! Aber dann vertändelt er das Gespräch leichtfertig und die beiden Herren setzen ihren Rundgang fort. Schade, da hätte er mehr draus machen können.

Einige Meter davon entfernt, bahnt sich die nächste verheißungsvolle Situation an. Herr Schulze-Wagner fasst sich ein Herz und nimmt aus satter Entfernung eine Gruppe asiatischer Besucher ins Visier. Gekonnt kreuzt er den Laufweg und erreicht die Delegation kurz bevor sie ins Abseits läuft. Doch was macht er jetzt? Er tippt einer der weiblichen Besucherinnen auf die Schulter. Ein klarer Regelvorstoß, der von den Mitgliedern der Gruppe sofort geahndet wird. Eine Viererkette baut sich vor ihm auf und schaut ihn grimmig an. Doch Schulze-Wagner ist ein Mann der Tat. Der geht auch mal dahin, wo’s wehtut. Also versucht er es direkt… und tatsächlich lächelt einer der Herren plötzlich freundlich und folgt ihm in die Mitte des Stands. Das ist noch mal gut gegangen. Schulze-Wagner geht jetzt auf „Nummer Sicher“ und spielt den Gesprächsball an einen der First Contact Reps weiter. Gut gesehen! So kann es klappen. Es macht sich halt bezahlbar, sich bei der Teamvorbereitung auf die individuellen Aufgaben zu konzentrieren. Eigentlich verständlich, ein Torwart trainiert ja auch nicht das Treten von Ecken.

Endlich hat nun auch Frau Krüger ihre Anfangsnervosität abgelegt und geht in die Offensive. Doch nach einem halbherzigen »Kann ich Ihnen helfen?« (Antwort: »Danke, ich schau mich nur um.«) ist die Chance auch schon wieder dahin. Das ist mangelhaftes Zweikampfverhalten. Das lässt sich auch nicht damit entschuldigen, dass man heute nicht auf heimischen Terrain unterwegs ist.

Besser macht es dagegen Frau Müller. Als Außendienstlerin ist sie gewohnt, lange Wege zu gehen. Sie bringt sich hervorragend in Position und stoppt gekonnt einen amerikanischen Geschäftsmann. Es folgt eine geschickte Verlagerung auf den Stand. Dort kann sie sich die Ecke aussuchen. Sie fackelt nicht lange und dribbelt zum Ansprachetool. Das ist schulbuchmäßig vorgetragen! Wenig später folgt der Pass in die Tiefe des Raumes, den Herr Kaiser, der First Contact Rep, wunderbar aufnimmt. Ein beeindruckendes Zusammenspiel der einzelnen Mannschaftsteile!

»Messen sind ein Mannschaftssport. Wir gewinnen nur, wenn unser Zusammenspiel stimmt.«

Zeit für die Mittagspause! Gelegenheit, um das Team neu einzustellen, Fehler abzustellen und neue Energie für die zweite Hälfte des Tages zu sammeln. Bis auf ein paar individuelle Patzer und Unsicherheiten beim Herauslaufen war das schon ein ganz gelungener Auftritt. Etwas mehr Entschlossenheit könnte nicht schaden. Manchmal fehlten nur ein paar Zentimeter, um zum Abschluss zu kommen. Darauf lässt sich aufbauen.

Ich nutze die Gelegenheit, um einen Blick auf den benachbarten Stand zu werfen. Die Formation der Standbetreuer hat sich vor der durchaus beeindruckenden Produktpräsentation aufgebaut, als wären sie Wachleute. Sie starren düster geradeaus. Von aktiver Besucheransprache oder dem mehrstufigen Vertriebsprozess hat man hier offenbar noch nie etwas gehört. Mit einer solchen taktischen Aufstellung wird das Unternehmen auf der Messe nicht weit kommen. Obwohl es eigentlich in die Champions League gehört.

Aufgrund des bekannten Firmennamen hat sich jetzt tatsächlich einer der Asiaten aus der Gruppe auf den Stand verirrt und steht plötzlich mutterseelenallein vor einem der Mitarbeiter. Der kann nicht rechtzeitig ausweichen und stolpert geradewegs ins Kundengespräch. Der Asiate zückt seine Visitenkarte und übergibt sie stilgerecht. Doch was macht der Mitarbeiter denn jetzt? Er zückt seinen Kugelschreiber und notiert sich etwas auf der Karte. Sein Gesprächspartner schaut ihn entsetzt an, als hätte ihm der Vertriebler gerade ein Gesichtstattoo verpasst. Da hat er sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Dann steckt er die Karte auch noch in seine Gesäßtasche. Da hätte er alles klarmachen können und dann so etwas. Jetzt wird’s natürlich doppelt schwer. Nun klingelt auch noch sein Handy. Da lässt er den Mann einfach stehen … unfassbar! Eine hundertprozentige Chance kläglich vergeben.

Zurück zu unserem Stand. Hier versucht Herr Schubert gerade einen Besucher anzusprechen, der direkt vom Stand eines Mitbewerbers kommt. Das wird ein echter Prüfstein! Doch der Besucher schüttelt nach der Ansprache nur eilig mit dem Kopf und zeigt das Ticket des Fliegers, den er erreichen muss. Kategorie unhaltbar. Da kann man nichts machen.

Frau Krüger tritt inzwischen stark verbessert auf. Sie glänzt mit vielen gelungenen Aktionen und guten Steilvorlagen für die Kollegen aus dem Verkauf. Die Wechsel und Übergaben klappen jetzt immer besser. Das sind zwingende Aktionen, genau wie sie im Training einstudiert wurden. Und wenn es sein muss, schüttelt sie auch mal, einen hartnäckigen Verfolger ab. Schließlich ist die Spielzeit auf der Messe zu wertvoll, um sie mit Geplänkel zu vergeuden.

Schon brechen die letzten Minuten an. Dem einen oder anderen sind die Strapazen jetzt anzusehen. Jetzt nur nicht auf dem falschen Fuß erwischen lassen und immer auf die Körpersprache achten. Faul? Nie und nimmer! Im Gegenteil: Hier wurde vieles richtig gemacht. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Darauf lässt sich morgen aufbauen. Oder, um es in Abwandlung eines Satzes von Matthias Sammer zu sagen: „Der nächste Messetag ist immer die nächste.«

Dieser Text erschien im Newsletter von "Fricke inszeniert."

 

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