Stil? Sicher!

Werbung für Verben

Substantive halten sich für die Hauptdarsteller unter den Wörtern. Belassen wir sie ruhig in dieser Annahme. Wer genauer hinschaut, bemerkt: Der Chef im Satz ist ganz klar das Verb. Es transportiert die Aussage, bestimmt die Zeitform und gibt Auskunft über die Person sowie den Numerus (Singular oder Plural). Das Verb weist die Kommas auf ihren Platz und degradiert die Substantive zu nützlichen Sklaven. Da können sie an ihren Ketten rasseln, wie sie wollen.

Indem wir Verben verwenden, bringen wir Leben in unsere Sprache. Sie sorgen für Bewegung. Nicht umsonst wurden sie uns in der Schule als „Tuwörter“ vorgestellt. Wo immer wir die Wahl haben, sollten wir uns für ein Verb entscheiden. Zu welcher Kraft sich die Sprache damit steigern lässt, beweisen solche herrlichen Exemplare wie knistern, plätschern, tuscheln, hauchen oder gluckern. Manche Verben scheinen ganz allein bereits die ganze Geschichte erzählen zu können: nehmen wir erdolchen, beschimpfen oder erschauern. Wer bewirtet, verarztet oder bemuttert wird, bekommt die Information über den handelnden Akteur quasi schon mitgeliefert. Manchmal dienen sogar lebende Personen als Verbvorlage. So geschehen in Schweden, wo das "Zlatanieren" (abgeleitet vom Fußballstar Zlatan Ibrahimovic) jüngst Einzug in die Wörterbücher hielt. Das Verb für den stürmenden Heißsporn, der beim PSG in Paris kickt, steht für alle, die gern ihre Klappe aufreißen, ohne deshalb Angst vor den Konsequenzen zu haben. Beste Chancen in Deutschland den Sprung vom Fußballplatz in den Duden zu schaffen, hat vermutlich „müllern“. Bayern-Profi Thomas Müller hat es in den letzten Jahren zur Kunstform erhoben. Dass jedoch die Verbwerdung eines Realnamens nicht generell eine Auszeichnung darstellt, beweisen die deutschen Politiker. Während sich „riestern“ ziemlich neutral verhält, sprechen „hartzen“ und „merkeln“ schon eine andere Sprache. Da war doch „verkohlen“ noch von ganz anderer Qualität. Ausgesprochen positiv dürften dagegen Unternehmen reagieren, deren Markennamen die Steilvorlage für Verben lieferten, wie zum Beispiel kärchern, tuppern, googeln oder pampern.

Gemessen an ihrem Potenzial werden die Verben im deutschen Sprachgebrauch oft sehr stiefmütterlich behandelt. Stark verbreitet ist leider der Hang zur Verbindung mit einem Substantiv in Kombinationen, die kaum mehr Ausdrucksstärke besitzen als das einzelne Verb. Niemand will heute mehr begeistern, sondern „in Begeisterung versetzen“. Kritik wird geübt, ein Vorschlag wird nicht gemacht, sondern zum „Ausdruck gebracht“. „Veränderungen werden vorgenommen“, bis sie „Beachtung finden“. – Sie meinen, das sei kein Problem? Stimmt, „es stellt eines dar“.

Richtig unangenehm wird es, wenn der Schreiber aus jedem unschuldigen Verb ein Substantiv formt. In der Beamten- und Wissenschaftssprache hat sich diese Unart längst eingebürgert. Jeder lebendige, in flüssigem Deutsch verfasste Satz macht sich dort verdächtig. Das ist schade, denn zu viele Substantive bremsen einen Text aus, machen ihn unpersönlich und schwer lesbar. Es gibt eine einfache und hilfreiche Technik, um dies zu vermeiden. Durchsuchen Sie Ihre erste Fassung konsequent nach Substantiven, die sich bequem in Verben verwandeln lassen (zum Beispiel die meisten, die auf „ung“ enden), ohne dass sich dadurch ein anderer Sinn ergibt. Sie werden überrascht sein, wie leicht sich Ihr Text plötzlich liest.

Eine weitere Unart beim Umgang mit Verben ist das hemmungslose Auseinanderreißen seiner Bestandteile. Nicht länger als drei Sekunden Lesedauer, besagt eine alte Texterregel, darf voneinander entfernt stehen, was zusammengehört. Das sind etwa sechs Wörter. Ein tolles Beispiel dafür, wie es nicht sein sollte, hat Rainer Bressel aus Sprockhövel (www.bresseldoku.de) aufgetan: „Das Kreuzfahrtschiff ging, nachdem es auf einer wundervollen Fahrt die Westindischen Inseln besucht und an den romantischen, malerischen Stränden einsamer Eilande geankert hatte, in einer lauen Sommernacht unter.“ Beileibe kein Einzelfall. Nehmen Sie sich ruhig mal das nächstbeste umherliegende Druck-Erzeugnis zur Hand und machen Sie den Test. Häufig werden Sie erst am Ende des Satzes erfahren, worum es überhaupt geht. Zwischendurch fahren Nebensätze und Einschübe munter Kolonne. Woher dieser Hang zu kleistschen Schachtelsätzen kommt? Möglicherweise ist es der Versuch des Schreibers, seinen Intellekt zu beweisen. Immerhin muss man die deutsche Sprache schon sehr sicher beherrschen, um einen grammatikalisch einwandfreien Schachtelsatz zu drechseln. Die Prägnanz bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Doch zurück zu den Verben: Wenn Sie den Leser nicht in erster Linie beeindrucken, sondern begeistern oder zumindest bei Laune halten möchten, sollte Sie jedem Ihrer Skripte eine Extradosis davon verordnen. Verben haben noch keinem Text geschadet.

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