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Sielmanns Erben

Döser, Dösbaddel, Dönnerchen, Dörrpflaume ... Wer die Namen des in der Döberitzer Heide geborenen Wisentnachwuchses hört, könnte leicht auf die Idee kommen, die Naturschützer der Heinz Sielmann Stiftung hätten sich einen Spaß erlaubt. Dabei befolgen sie lediglich die strengen Vorgaben. „Jungtiere müssen nach dem Gebiet benannt werden, in dem sie zur Welt kamen“, erklärt Geschäftsführer Peter Nitschke. „Für unsere Tiere sind die Anfangsbuchstaben DÖ vorgesehen. Eine echte Herausforderung, besonders bei den männlichen Tieren“, sagt er lachend. Doch das Kopfzerbrechen bei der Namenssuche nehmen Nitschke und seine Mitarbeiter gern in Kauf. Denn jedes Wisentbaby ist wie ein kleines Wunder, wenn man bedenkt, dass es von den Großrindern vor 90 Jahren weltweit nur noch zwölf Exemplare gab. Bis heute ist ihr Bestand wieder auf 4.000 Tiere angewachsen. 52 davon leben in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide.

Bevor aus der Döberitzer Heide, die mit 3.800 Hektar immerhin eine Fläche von umgerechnet 5.500 Fußballfeldern umfasst, ein Naturschutzgebiet werden konnte, gaben hier über Jahrhunderte die Militärs den Ton an. Der Alte Fritz probte in dem Areal seine „Schräge Schlachtordnung“. Bis 1992 donnerten russische Panzer durch die Heide. Danach zog endlich Ruhe ein. Naturexperten waren überrascht, welch strukturreiche Landschaft sich im Laufe der Jahre gebildet hatte. Mehr als 5.000 teilweise sehr seltene Tier- und Pflanzenarten konnten in den sich mosaikartig abwechselnden Mooren, Laubwäldern, Röhrichten und Sandflächen nachgewiesen werden. 2004 erwarb die Stiftung des bekannten Tierfilmers Heinz Sielmann das Gelände, um dafür zu sorgen, dass der Einfluss des Menschen auf diesen Naturraum so gering wie möglich bleibt. Ein unerwartet schwierig zu realisierender Vorsatz, wie sich herausstellte. „Überließe man die Heide ganz sich selbst, hätte man hier in 20 Jahren wieder dichten Wald“, erklärt Geschäftsführer Nitschke. „Seltene Vögel, etwa die Offenlandarten Wiedehopf und Ziegen­melker, oder auch verschiedene Heuschrecken- und Eidechsenarten würden dann ihre Lebensräume verlieren und anderswo keine neuen mehr finden.“

Früher schufen Schädlingsplagen, Überschwemmungen, Windwurf oder Waldbrände die lebenswichtigen Schneisen. In den letzten Jahrzehnten übernahmen Panzer diesen Job. Aber nun? Schon bald nach dem Truppenabzug entstand die Idee, große Pflanzenfresser auszuwildern und damit „zwei Fliegen mit einer Klappe“ zu schlagen: den Erhalt gefährdeter Arten und die natürliche Offenhaltung der Landschaft. Die Wahl fiel auf den Wisent, der noch bis ins frühe Mittelalter in unseren Breiten vorkam, auf das seltene Przewalski-Pferd sowie auf den Rothirsch. Alle drei Arten unterdrücken die natürliche Wiederbewaldung, denn sie ernähren sich vor allem von jungen Gehölzen. Ein Konzept, das aufging. „Gegen den Appetit eines Wisents, das am Tag etwa 40 Kilogramm Grünzeug verputzt, haben selbst mittlere Bäumchen keine Chance“, sagt Nitschke, der davon überzeugt ist, dass die Döberitzer Heide selbst die doppelte Anzahl an Tieren gut verkraften kann. Der diplomierte Forstingenieur, der seit vielen Jahren bei der Stiftung arbeitet, begleitet das Projekt bereits vom ersten Tag an und kommt schnell ins Schwärmen, wenn er darüber spricht. „So eine große Naturlandschaft am Rande einer Metropole ist einmalig in Europa“, sagt der gebürtige Niedersachse. Mehr als 100.000 Besucher überzeugten sich im letzten Jahr selbst von der beeindruckenden Naturvielfalt. Ein Großteil von ihnen erkundete den 22 Kilometer langen Wanderweg, der einmal rund um die von sicheren Zäunen umfasste Wildniskernzone führt. Bis auf kurze sandige Passagen lässt sich die Tour auch wunderbar mit dem Fahrrad zurücklegen. Mit etwas Glück und Geduld stellt sich dabei echtes Safari-Feeling ein.

Dieser Text erschien in "Sanssouci", dem Kundenmagazin der MBS (Mittelbrandenburgische Sparkasse)

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