Nominalstil – Übel oder notwendig?
Ganz gleich welchen Ratgeber zum besseren Schreiben ihr in die Hand nehmt: Ihr werdet ein Kapitel oder eine Passage finden, in dem vor dem Nominalstil gewarnt wird.
Als Nominalstil bezeichnet man Satzkonstruktionen, in denen Substantive vorherrschen und nur wenige Vollverben verwendet werden. Bürokratenjargon, Kanzleistil, Behördendeutsch … Die Bezeichnungen dafür sind wenig schmeichelhaft. Sprachpapst Wolf Schneider nennt ihn sogar „Die Krone der Hässlichkeit“.
Besonders in wissenschaftlichen, behördlichen und juristischen Texten ist der Nominalstil weit verbreitet. Aber auch Geschäftsbriefe und Betriebsanleitungen sind nicht davor gefeit. Dafür gibt es durchaus gute Gründe. Oft ermöglicht er die Einsparung von Nebensätzen – bei gleichzeitiger Erhöhung der informationellen Dichte. Doch genau diese Eigenschaften machen es dem Leser schwer, solche Sätze zu verstehen. Auf der Strecke bleiben Einfachheit, Prägnanz und Verständlichkeit – Kategorien, auf die zum Beispiel an Hochschulen ohnehin nicht viel Wert gelegt wird. Der Verbalstil dagegen gilt als lebendiger, allerdings auch als langatmiger und weniger prägnant.
Dreiviertel Substantive
Substantive stellen den mit Abstand größten Anteil unseres Vokabulars. Bei den Stichwörtern, die im Duden aufgelistet sind, beträgt ihr Anteil fast 74 Prozent. Mit großem Abstand folgen die Adjektive (14 Prozent) und die Verben (10 Prozent). Die restlichen zwei Prozent teilen sich Adverbien, Interjektionen, Präpositionen, Pronomen, Konjunktionen, Partikel und Artikel.
So ist es kaum verwunderlich, dass wir den Substantiven allzu gern auf den Leim gehen – insbesondere, wenn wir mit der Komplexität unseres Sprachschatzes beeindrucken möchten. Dabei gibt es wirklich hässliche und unnötige Substantive. Kein Mensch braucht Wörter wie Kenntniserlangung, Problemstellung, Zielerreichung, Aktivierung oder Registrierung. Wozu „Veränderung vornehmen“ schreiben, wenn es „verändern“ auch tut? Was ist der Vorteil von „in Verbindung bringen“ gegenüber „verbinden“. Warum sollte man „Beachtung schenken“ sagen, wenn „beachten“ reicht? Wer muss sich „einer Prüfung unterziehen“, wenn er einfach auch „geprüft“ werden kann. Und „eine Mitteilung machen“ ist ebenso überflüssig wie „eine Absage erteilen“ oder „zur Verzweiflung bringen“.
Die Mischung macht's
Wenn er dermaßen unbeliebt ist, wozu gibt es den Nominalstil dann überhaupt? Nun – auch hier macht es die Mischung. Nominalstil und Verbalstil sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wer konsequent auf den Nominalstil verzichtet, läuft meist direkt in die nächste Falle und stellt fest, wie schwierig es ist, auf Dauer eine Dopplung von Verben wie „werden“ oder „haben“ zu vermeiden. Oft ist der Nominalstil genauer. „Wir baten zum Gespräch“ ist nicht dasselbe wie „Wir sprachen mit«. Wer sagen will, dass „ein Tief für Regen sorgt“, dem ist „es wird regnen“ möglicherweise nicht exakt genug.
Der Ansatz, Substantive zu überprüfen und die überflüssigen durch Verben zu ersetzen, hilft dennoch. Die Suche ist leichter, als es klingt: Einfach mal auf alle Wörter achten, die auf -ung enden. Auch Wortschwänze wie -igkeit, -lichkeit, -ikation oder -ilität deuten darauf hin, dass sich dieses Wort vielleicht durch ein nettes Verb ersetzen lässt. Außerdem dürfen bei Verben wie „machen“, „tun“, „lassen“ und „sorgen“ die Alarmglocken angehen, denn sie deuten häufig auf den Nominalstil hin. Wer auf diese Weise ein paar Problemfälle entdeckt, kann darüber nachdenken, ob es einen anderen Weg gibt. Falls nicht: Halb so wild!