Glosse

Liebe Roboter, (Teil 3)

Liebe Roboter,

seit meinem letzten Brief an euch ist eine Weile vergangen. Sorry, aber wie ihr ja mitbekommen habt, ist bei mir eine Menge passiert. Was es bei euch so Neues gibt, erfahre ich meist nur aus den Medien. Im Alltag taucht ihr in meinem Umfeld noch nicht so richtig auf – weder als Paketboten, noch als Busfahrer (obwohl, ganz so sicher bin ich mir da gar nicht) oder als Kofferträger im Hotel.

Inzwischen sollt ihr ja sogar in die Modeberatung eingestiegen sein. Klar, ihr könnt das ohne Frage besser als jeder Verkäufer. Ihr habt unendlich viel Zeit, kriegt nie schlechte Laune und bekommt keinen Lachanfall, während ihr einer 100-Kilo-Vettel, statt vom bauchfreien Top abzuraten, ein „steht Ihnen gut“ entgegensäuselt. Wahrscheinlich kennt ihr den Inhalt unserer heimischen Kleiderschränke viel besser als wir selbst und wisst aus sicherer Quelle, welche ehemaligen Lieblingsstücke in längst vergessenen Konfektionsgrößen nur noch aus Nostalgie nicht ausrangiert wurden. Unser allgemeiner Fitnesszustand ist euch eh bekannt – was mitunter unmittelbare Rückschlüsse auf realen Körpermaße zulassen dürfte. Dafür sorgen wir mit Fitnessbändern und allerlei anderen Erfassungsgeräten für Biodaten, die das schlechte Gewissen bei Laune halten sollen. Neuester Schrei sind sprechende Spiegel. Entsprechend ausgestattet, messen sie jeden Morgen den Puls und analysieren gleich noch den Zustand der Haut. Ihre eigentliche Aufgabe ist es allerdings, Make-up-Optionen direkt auf das Spiegelbild zu projizieren und neue Pflegeprodukte zu empfehlen. Auf Wunsch bestellen sie die natürlich gleich. Ebenso wie Zahnpasta und Klopapier. Und wenn die Optik des sich spiegelnden Konsumopfers nicht dem maximal Möglichem entspricht, machen die Teile sicher auch Termine beim Friseur oder im Kosmetikstudio klar.

Mit menschlichen Gegnern gebt ihr euch schon lange nicht mehr ab

Doch mal ehrlich! Fühlt ihr euch mit solchen Tätigkeiten nicht komplett unterfordert? Ähnlich wie bei diesen albernen Captcha-Anfragen, bei denen euch die Programmierer nicht mal zutrauen, ein paar Bilder mit Autos oder Verkehrsschildern richtig zuzuordnen, um daraufhin guten Gewissens das Feld mit der Angabe „Ich bin kein Roboter“ anzuklicken. Mich beschleicht allmählich das Gefühl, dass ihr uns absichtlich ein wenig für blöd verkaufen wollt. Die Fortschritte, für die ihr euch feiern lasst, tun uns noch nicht wirklich weh. Oder hatte irgendwer hierzulande schlechte Laune, weil schon wieder ein neuer Stern am Go-Himmel (ein Spiel, das außerhalb Asiens ohnehin kaum einer versteht) aufgetaucht ist.

Das Besondere an dem neuen Modell namens Zero war, dass man ihm lediglich die Spielregeln beigebracht hatte und er daraufhin einige zehn Millionen Partien gegen sich selbst spielte. Gegen einen derartigen Wissensschatz war sein Vorgänger chancenlos. Für die Experten gilt dieser Erfolg allerdings als Quantensprung. Wenn sich Roboter ohne menschliche Hilfe Go auf Weltklasseniveau beibringen können, wird ihnen das früher oder später auch bei jedem anderen Problem gelingen, das sich ausreichend beschreiben lässt.

Die Realität sieht (noch) anders aus

Schwer vorstellbar für jemanden, der gerade im Garten sitzt und seinen selbstfahrenden Rasenmäher dabei zusieht, wie er binnen weniger Minuten zum fünften Mal an denselben Baum fährt. Auch in anderen Themenfeldern bleibt euer Output weit hinter den Erwartungen zurück. So ist es zum Beispiel unwahrscheinlich, dass Dolmetscher in Sinnkrisen stürzen, nachdem sie sich die Ergebnisse aus euren Übersetzungsprogrammen angesehen haben. Mit den Finessen menschlicher Sprachen habt ihr es nicht so. Und wer glaubt, mit euch interessante Gespräche führen zu können, wird mit den sogenannten „persönlichen Assistenten“ wie Siri, Alexa oder Cortana nach wie vor schnell eines Besseren belehrt. Zugegeben – meine persönlichen Erfahrungen beschränken sich dabei ausschließlich auf Siri. Jedoch fehlt mir der Glaube, dass die Unterhaltungen mit ihren Kolleginnen wesentlich amüsanter sein dürften. Mit ihrem ständigen „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe“, „Das kann ich nicht sagen“ oder „Das ist das Resultat meiner Websuche“ liegt Siri in puncto Unterhaltungsfaktor selbst hinter den einfältigsten Gesprächspartnern aus meinem Bekanntenkreis noch Lichtjahre zurück.

Das ist doch ein Trick, oder?

Wer will mit einem solch verkrampften, humor- und meinungslosen Wesen (?) seine Zeit verbringen? Selbst auf die vermutlich tausendfach gestellten Pennälerfragen wie »Würdest du mir bitte den Schwanz lutschen?« fällt Siri keine coole Erwiderung ein. Sie könnte dem Fragesteller doch ein für alle mal klar machen, dass man mit einer Dame – ganz gleich welcher Bauart – so nicht redet. Außer vielleicht mit Sex Robots, die in den USA für den Preis eines Mittelklassewagens zu haben sein sollen – eine Vorstellung, die mich ebenso wenig antörnt, wie das Video von der CES in Las Vegas, das zeigt, wie im Sapphires Gentlemens Club Roboterinnen neben Frauen an Stangen tanzen.

In weniger als zwanzig Jahren seid ihr so schlau wie wir

Doch zurück zur verbalen Kommunikation. Speziell beim Erlernen des halbwegs unfallfreien, respektvollen und vielleicht sogar charmanten Flirtens könnten Assistentinnen wie Siri gerade unbeholfenen jungen Männern eine große Hilfe sein. Nicht das die Glücksgefühle oder „Belohnungen“ vergleichbar wären – aber es wäre doch schon viel gewonnen, wenn die Gesprächsdesigner sich nicht nur auf zielorientierte Kundendialoge, sondern auf das Training netter „zwischenmenschlicher“ Kommunikation konzentrieren würden.

Vermutlich habt ihr daran gar kein Interesse mehr, da euer Masterplan für unsere Spezies ohnehin kaum noch viele Kapitel enthält. Schon gar keine, für die sich Fortpflanzung lohnen würde. Nach dem Moorschen Gesetze verdoppelt sich die Rechenleistung alle zwei Jahre. Spätestens 2045, so schätzt Ray Kurzweil von Google die Lage ein, werdet ihr die Singularität erreicht haben. Das ist der Punkt, an dem ihr den Menschen hinsichtlich seiner Intelligenz überholt habt. Die Frage ist, ob ihr dann überhaupt noch Verwendung für uns findet. Und überhaupt: Was gibt es für euch, angesichts eurer zu erwartenden Überlegenheit, für einen Grund, uns gegenüber eure Existenz zu beweisen oder eure Fortschritte zu verdeutlichen. Halten wir Menschen die Ameisen auf dem Laufenden? Eben!

Ist der Homo Deus einfach der nächste Schritt der Evolution?

Tesla-Gründer Elon Musk, der sich nicht nur für Elektromobilität interessiert, sondern auch ein wichtiger Vordenker in Sachen KI ist, hat u.a. die Firma Neuralink gegründet. Sie soll Künstliche Intelligenz mit dem menschlichen Gehirn verknüpfen. Gleichzeitig hat er mehrere Stiftungen ins Leben gerufen, die sicherstellen sollen, dass die KI nicht antihuman wird. Insofern ist Musk ein moderner Faust, der genau das hervorbringt, was er doch eigentlich fürchtet.

Früher oder später werden technische Systeme ein Selbstbewusstsein entwickeln und sich um ihren Selbsterhalt kümmern. Doch was passiert, wenn dieses Interesse im Konflikt zum menschlichen Interesse steht? Ich will meinen Computer verschrotten aber er will das nicht? Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt in Ansätzen die aktuelle US-Fernsehserie Westwood. Die Realität wird vermutlich anders aussehen und eher die Befürchtungen von Musk bestätigen (»Wir müssen aufpassen, dass wir nicht als Hauskatzen der Maschinen enden«). KI-Pionier Chris Boos sieht das dagegen gelassen. »Machen Sie sich keine Sorgen! Wir werden leben wie Tiere im Zoo. Wir werden genug zu essen haben und es wird uns gut gehen. Nur: Die relevanten Entscheidungen werden eben von Maschinen getroffen.« 

 

 

 

 

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