Glosse

Liebe Roboter, (Teil 2)

ich bin’s mal wieder! Seit meinem letzten Brief im Januar ist eine Menge passiert. Antwort habe ich von euch leider noch nicht bekommen. Aber kein Problem – ich seh ja, wie viel ihr zu tun habt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar wurde davon gesprochen, dass ihr schon in den nächsten fünf Jahren in den Industriestaaten sieben Millionen Arbeitsplätze übernehmen werdet. Das will vorbereitet sein, da bleibt fürs Briefe beantworten sicher wenig Zeit. Außerdem sorgt ihr gerade dafür, dass es sich durch die vollautomatisierte Fertigung bald überhaupt nicht mehr lohnt, in Billiglohnländern zu produzieren. Bin ja gespannt, wie ihr das den Leuten in Bangladesh oder Indonesien erklärt.

Beeindruckt hat mich in den letzten Monaten aber vor allem euer Sieg über die GO-Ikone Lee Sedol. Hatten die Fachleute nicht prognostiziert, dass ihr dafür noch 10 Jahre braucht, weil die Komplexität des GO-Spiels im Gegensatz zum Schach allein durch Rechenpower nicht zu bewältigen sei? Das hat euch aber nicht gejuckt, ihr Schelme! 4:1 ging die Partie aus, wobei die Niederlage auf einen Sonntag fiel, was euch hinsichtlich des Lernfortschritts in puncto Arbeitsmoral schon wieder sympathisch erscheinen lässt. Lustig fand ich, dass die GO-Profis verwundert feststellten, euer Roboterkollege AlphaGo spiele Züge, die ein Mensch niemals machen würde. Na sowas! Die eigentliche Antwort für eure Siege liegt allerdings darin, dass er über zwei neuronale Netzwerke verfügt, von denen das eine Millionen von Zügen aus menschlichen Partien auswertet und das andere permanent gegen sich selbst spielt. Das Highlight der Spielserie war natürlich der Moment, in dem AlphaGo seinen Machern eine halbe Stunde vor dem Spielende eine Verlaufsprognose aufs Smartphone schickte, in der stand, dass er gewinnen würde. Das Begriffspaar „To Go“ hat für mich jetzt eine ganz neue Bedeutung. Ex-Champion Sedol tröstete sich mit der Überzeugung, dass Computer die Schönheit des GO-Spiels nie verstehen würden. Na ich weiß ja nicht. Schließlich macht längst der Begriff der Roboterethik die Runde. Dass wir Menschen uns das nicht vorstellen können, ist wahrlich nicht euer Problem. Aber bestimmte menschliche Fähigkeiten und Kompetenzen, wie zum Beispiel Urteilskraft, Entscheidungsfähigkeit oder Vernunft, ließen sich durchaus in ähnlicher Weise auf Maschinen übertragen. Das meinen jedenfalls die Experten. Auch wir denken die meiste Zeit nach Mustern, die unser Handeln schon seit langem bestimmen. Manchmal nennen wir so etwas „das Gewissen“ – irgendwie ja auch eine Form der Programmierung. Nicht vorzustellen, wenn ihr eines Tages jetzt auch noch eure weiche Seite entdeckt. Aber dazu fehlt euch die freie Zeit, oder? Und wenn ihr welche hättet, würdet ihr euch wahrscheinlich lieber Roboter­fußball anschauen – und zwar ohne Freudentränen zu vergießen – wenn euer Team am Ende den Sieg davonträgt. Nebenbei beschäftigt ihr euch vermutlich damit herauszufinden, wie Kronkorken zu öffnen sind, auch wenn ihr bislang nur Drehverschlüsse kanntet.

Zu einem ganz anderen Thema: Wie läufts eigentlich mit euren Fortschritten beim Schreiben? Wie ich las, hielten bei einem Test, den eine Journalistenschule in New York durchführte, die meisten Testpersonen eure Texte für glaubwürdiger als die von menschlichen Journalisten. Das kann ich mir bei einer Reihe von Themen durchaus vorstellen. Quartalsberichte oder die Zusammenfassung eines Spiels von Hannover 96 kriegt ihr mit Sicherheit nicht schlechter hin als ein gelangweilter Redakteur. Und auch bei Werbeanzeigen, Möbelkatalogen und Immobilienprospekten traue ich euch eine Menge zu. Aber wird einer von euch jemals den Pulitzer-Preis gewinnen? Oder einen Literaturpreis oder von mir aus wenigstens einen Löwen beim Werbefilmfestival in Cannes?

Wie ich euch kenne, lacht ihr euch jetzt leise in die Dioden und amüsiert euch über meine Naivität. Na klar werdet ihr auch das früher oder später können. Wenn es so weit ist, dann schickt mir doch live von der Preisverleihung einfach eine Nachricht aufs Smartphone und sagt Bescheid, dass ihr gewonnen habt. Am besten eine halbe Stunde, bevor es die Jury weiß.

Liebe Grüße

Euer Torsten

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