Home Office – eine Lösung für die Zeit "danach"?
Arbeiten aus dem Home Office wurde für viele Menschen während der Corona-Zeit von der Ausnahme zur Regel. Die Erfahrungen und Meinungen damit sind unterschiedlich. Paul Pro und Karla Kontra fassen sie stellvertretend zusammen.
Hallo Paul, wie geht’s dir so im Home Office?
Paul:
Ganz gut. Ich genieße es, morgens eine halbe Stunde länger zu schlafen. Statt in der S-Bahn zu sitzen oder mich durch den Straßenverkehr zu quälen, trinke ich in Ruhe meinen Morgenkaffee oder gehe vor der Arbeit eine Runde joggen. Dadurch starte ich viel entspannter in den Arbeitstag. Und bei dir, Karla?
Karla:
Wenn ich ehrlich bin, hielt die erste Euphorie über Home Office nur kurz an. Es erfordert schon eine Menge Disziplin und Selbstkontrolle. Erst dachte ich: Ist doch toll, da kann ich zwischendurch schnell mal eine Maschine Buntes anschmeißen, einkaufen gehen oder das Auto in die Werkstatt bringen. Aber dadurch kommt man schnell aus dem Tritt und braucht am Ende für alles länger.
Paul:
Echt? Ich habe den Eindruck, dass ich im Home Office effizienter arbeite. Im Großraumbüro bin ich von Störfaktoren umzingelt. Die eine Kollegin telefoniert, eine andere geht ständig rein und raus und die Kollegen links und rechts von mir unterhalten sich laut über Autos. Da kann ich mich nur unter Kopfhörer flüchten. Dagegen ist es bei mir zu Hause schön ruhig.
Karla:
Naja, bei mir vor dem Fenster ist es gerade auch nicht leise, da ist ein Laubbläser am Werk. Und wenn der fertig ist, klingelt sicher gleich wieder ein Paketbote. Aber das ist zu verkraften. Am meisten fehlen mir meine Kollegen. Ich hätte gar nicht gedacht, wie schnell ich sie vermisse. Einfach mal zum Nachbarschreibtisch gehen, etwa bei einer Fachfrage oder einem IT-Problem, oder sich spontan austauschen, wenn man sich am Kopierer oder in der Kaffeeküche trifft – das geht halt alles nicht. Es fühlt sich an, als hätte der Flurfunk seinen Sendebetrieb eingestellt.
Paul:
Oder er sendet auf einer anderen Frequenz. Unser Team kriegt es dennoch ganz gut hin, die sozialen Kontakte am Leben zu erhalten. Wir vereinbaren alle paar Tage ein gemeinsames virtuelles Frühstück oder Kaffeepausen, in denen wir ganz bewusst auch mal über private Dinge reden. Außerdem fragen wir uns jede Woche im Jour Fix-Meeting, was gut läuft und wo wir bei den neuen Formen der Zusammenarbeit nachjustieren müssen. Generell habe ich den Eindruck, dass wir in den Online-Meetings schon wesentlich effizienter sind als im Büro.
Karla:
Das setzt allerdings voraus, dass alle das Home Office gleichermaßen gut umgesetzt bekommen. Speziell für diejenigen, die Kinder haben, ist das oft nicht leicht. Während man selbst noch zu tun hat, fordern die Kids Aufmerksamkeit und wollen bespaßt werden. Nicht jeder hat zu Hause ein Arbeitszimmer, in das er sich zurückziehen kann. Meist führt das dann dazu, dass Spätschichten gefahren werden müssen, wenn die Kleinen endlich schlafen, damit das Arbeitspensum geschafft wird. Dann sind die Kollegen aber nicht mehr online.
Paul:
Deswegen haben wir Kernanwesenheitszeiten vereinbart, zu denen alle erreichbar sind. Wer in die Pause geht, sagt Bescheid. Gute Kommunikation ist wichtig. Dank Teams, SharePoint und Co. haben wir die Voraussetzungen dafür. Und speziell Schweden, die Niederlande oder Dänemark zeigen uns doch, dass es geht. Dort ist Home Office schon lange eine Selbstverständlichkeit.
Karla:
Mit IBM hat beim Thema Home Office aber interessanterweise ein Unternehmen zurückgerudert, das dafür weltweit als Vorreiter galt. Zeitweise arbeiteten da bis zu 40 Prozent der Belegschaft von zu Hause. Das sparte dem Konzern jährlich 100 Millionen Dollar durch weniger Bürofläche und geringeren Energiebedarf.
Paul:
Was die Umwelt angeht: Wenn 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland einen Tag in der Woche von zu Hause arbeiten würden, könnten 850 Mio. kg CO2 eingespart werden1. Dieses Argument sollte uns doch zu denken geben. Aber woher kam denn nun der Sinneswandel bei IBM?
Karla:
Einer der wichtigsten Gründe ist, dass die Home Office-Arbeiter „unsichtbar“ sind und nicht mehr als Leistungsträger gesehen werden. Während die ständig anwesenden Kollegen als Top-Performer gelten, die sich dabei zusehen lassen, wie hart sie arbeiten. Bei Beförderungen werden die „Homies“ regelmäßig übersehen. Obwohl sie im Durchschnitt sogar mehr Stunden leisten.
Paul:
Du meinst also zu Hause droht die Selbstausbeutung und keiner im Unternehmen kriegt es mit? Da ist sicher was dran. Anwesenheit gilt nun mal nach wie vor als Leistungsnachweis. Obwohl es gar nicht gesagt ist, dass jemand im Büro produktiver ist. Aber wir sollten ohnehin von den angestammten 9-to-5-Arbeitsmodellen wegkommen. Die passen einfach nicht mehr in die Zeit.
Karla:
Was schlägst du also vor für die schöne neue Arbeitswelt?
Paul:
Die Mischung macht es! Wer gut und gern im Home Office arbeitet, sollte das auch häufiger als es jetzt der Fall ist, tun dürfen. Dazu ist es aber wichtig, die Leistung und nicht nur den Zeitaufwand zu bewerten. Das Arbeitspensum muss erfüllt werden, das ist klar. Termine sind keine Deko im Kalender. Aber wenn sich die individuellen Arbeitsbedingungen am Ende dort, wo es möglich ist, ein bisschen verbessern, kann die größere Flexibilität für alle nur zum Gewinn werden.
Der Text war für ein Mitarbeitermagazin vorgesehen, wurde dann allerdings nicht veröffentlicht.