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Heimatkunde für Aussteller

Lars B. Sucher testet Messestände. In seiner Kolumne berichtet er über all das, was ihm in den Messehallen der Welt dabei so auffällt. Diesmal hat er sich der Frage gewidmet, welche Haltung auf Messen besser ankommt: Regional bis in die Haarspitzen oder so weltmännisch wie nur möglich?

Mein neuer Auftrag führt mich auf eine große Industriemesse: Wie authentisch sind die Auftritte der Aussteller und welche Rolle spielt dabei ihre Herkunft? „Authentisch?“, frage ich mich. „Sind nicht gerade Messen die beste Gelegenheit, um sich gegenüber den Mitbewerbern ein bisschen aufzuplustern?“ Zuerst einmal ist es für Unternehmen wichtig, sich die eigene Identität überhaupt bewusst zu machen. Das beginnt schon beim Namen. Schauen wir uns einfach mal die Automobilwirtschaft an. Der Golf wird als deutsches Auto empfunden, selbst wenn Teile davon im Ausland gefertigt werden. Mit einem Volvo verbindet man skandinavisches Lebensgefühl und mit einem Alfa Romeo italienisches. Aber wie steht es um Aygo, Aveo, Meriva und Agila? Klar, nicht jeder kann sich Spreewaldgurke nennen oder Almochsenfleisch. Aber ein klein wenig Hintergrundinformation dürfen Produktnamen schon transportieren. Besonders, weil neue Wortschöpfungen bei Autos schon häufig in die Hose gingen. Legendär ist das Malheur von Nissan, die übersahen, dass „Pajero“ im Spanischen für Wichser steht. Und dass der Toyota MR2 unter diesem Namen auf dem französischen Markt völlig ungeeignet ist, hätte man ahnen können. Warum? Sprechen Sie ihn einfach mal auf Französisch aus.

Doch zurück zur Messe. Der erste Stand, der mir mit seiner blauweißkarierten Farbgebung seine Herkunft förmlich ins Gesicht schreit, gehört der Firma Rutscherl Industriebügeleisen. Die in Dirndel gehüllten Hostessen liefern mir zumindest visuell gute Gründe, um dem Messeauftritt ein wenig Zeit zu widmen. Dass es sich um ein bayrisches Unternehmen handelt, ist kaum zu übersehen. Doch erschließt sich ausländischen Kunden diese Symbolik? Sicherheitshalber hat Rutscherl den Bewirtungsbereich in ein kleines Oktoberfest verwandelt. Für den internationalen Markt scheint das noch immer das Sinnbild Deutschlands zu sein. Anders die Eingeborenen: Am Nebentisch beginnen sich zwei Mannsbilder darüber zu echauffieren, dass hier auch nach 12 Uhr noch Weißwürstel verspeist werden. Körperliche Qualen scheinen sie wenig später zu erleiden, als ein ahnungsloser Asiat auf so einer armen Weißwurst herumsägt, statt geräuschvoll zu zuzeln. „Was soll’s“, denke ich. Ihm schmeckt’s und es allen recht zu machen, ist selbst in Bayern noch niemandem gelungen.

Als im hinteren Bereich des Standes eine Blaskapelle zu spielen beginnt, wechsele ich in die Nachbarhalle und stolpere geradewegs in den Stand der Firma Pladotcom. Deren Claim „Wir sind in der virtuellen Welt zu Hause“ fällt mir gleich ins Auge. Na das ist doch mal eine interessante Adressangabe! Ich werde von Steve begrüßt, einem schlanken Vollbart-Hipster, der einem Werbeplakat für vegane Kräuterbratwurst entstiegen sein könnte. Er gibt sich so kosmopolitisch, dass er gewiss sogar mehrsprachig flucht, wenn er sich Kaffee über die Tastatur schüttet. Sein Namensschild stellt ihn als Feelgood Manager vor. Er kümmert sich um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und Kunden. Da er meine zu kennen scheint, beginnt er mir ungefragt die App zu erklären, mit der Pladotcom den Markt erobern will. Als ich kritisch nachfrage, wodurch sich die Firma von den Wettbewerbern unterscheidet, schaut er mich mit großen Augen an. »Wir challengen den Status quo«, antwortet er leicht pikiert und macht dabei ein Gesicht, als hätte er gerade „Wir produzieren Badewannenstöpsel“ gesagt und damit alle Unklarheiten beseitigt. Was danach kommt, ist gehobenes Bullshit-Bingo, bei dem das Adjektiv superspannend so häufig vorkommt, dass man einen „Tick“ befürchten könnte. Beim letzten Company Outing (früher nannte man so etwas einen Betriebsausflug), erzählt Steve, hat man herausgefunden, dass man die Vibes am Incubator in der sauerländischen Heimat nicht mehr spüre. Deshalb werde man demnächst ein Lab in Berlin gründen. Spätestens in zwei oder drei Jahren würde man dann reale Gewinn mache. „Superspannend!“, antworte ich und verlasse kurz darauf die virtuelle Welt, denn der benachbarte Stand hat mein Interesse geweckt. Dort steht der Taj Mahal. Die Floxus-Gruppe, ein Hersteller von Kabeln für jede erdenkliche Anwendung mit Sitz im Rheinland, hat sich eine Nachbildung im Maßstab 1:10 fertigen lassen und sie zum zentralen Element der Standfläche erkoren. Nicht nur das. Ausladende Blumenbouquets, Meditationskissen und ein Hauch von Räucherstäbchen sollen für die entsprechende Atmosphäre sorgen. LED-Wände mit Straßenszenen aus Mumbai verleihen dem im Moment wenig belebten Stand zudem einen wuseligen Charakter. 

Da hat sich ein Messebauer aber mal so richtig ausgetobt, denke ich, als eine in ein langes buntes Kleid gehüllte Blondine auf mich zueilt. Auf ihrer Stirn klebt ein Punkt in den Unternehmensfarben. Sie begrüßt mich mit einem merkwürdigen Knicks, den sie sich offenbar in einem Bollywood-Film abgeschaut hat und erklärt mir, dass Floxus dem diesjährigen Partnerland der Messe – also Indien – auf ganz spezielle Weise Respekt erweisen möchte. Ihr Kölner Dialekt lässt keinen Zweifel daran: Hier sind die Jecken los! Ich beschließe, mir den Stand genauer anzusehen. Kein Indien-Klischee wurde ausgelassen. Es gibt Männer mit Turbanen, Frauen in Saris, Fakire auf Nagelbrettern und einen Geschäftsführer, der es sich nicht verkneifen konnte, einen Tropenhelm aufzusetzen. Vor dem Taj Mahal hält gerade eine Rikscha, mit der Floxus offenbar einen Bestandskunden vom Haupteingang abgeholt hat.

Aus der Tiefe des Standes dringen unterdessen merkwürdige Geräusche an mein Ohr. Ich steige über eine Kuh, die es sich im Gang bequem gemacht hat, und schaue mir die Quelle des Missklangs an. Vor einer Wand mit Produktdisplays sind drei Körbe aufgestellt, über denen jeweils flötenähnliche Instrumente, indische Pungis, angebracht sind. Ein Besucher versucht gerade, einer Flöte ein paar Töne zu entlocken. Kaum hat er zu spielen begonnen, steigt ein Floxus-Kabel wie eine Schlange aus dem Korb. Der Besucher kichert kurz, was das Schlangenkabel dazu bewegt, sich wieder einzurollen. Mäßig amüsiert wende ich mich wieder der Blondine zu. „Toll, nicht?“, fragt sie erwartungsvoll. Ich zucke kurz mit dem Kopf und schnalze mit der Zunge, was in Indien als Verneinung gilt, für Europäer aber eher wie eine Zustimmung aussieht und verabschiede mich. „Sie gehen schon?“, fragt die Mitarbeiterin und macht dabei ein Gesicht, wie eine Kassiererin, der gerade das Wechselgeld ausgegangen ist. „Kommen Sie gern im nächsten Jahr wieder. Dann steht hier der Kreml.“

Welcher ist nun der richtige Weg? Eine eindeutige Antwort muss ich meinem Auftraggeber schuldig bleiben. In jedem Fall aber sollten Aussteller an den Messetagen niemand anderes sein wollen, als im Rest des Jahres. Oder, um es mit Goethe zu sagen: „Was glänzt, ist für den Augenblick geboren, das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.“ – Deshalb: Bleiben Sie ganz einfach Sie selbst.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in unserem Workshop „Authentizität und Heimat“.

Der Text erschien im Kundenmagazin der Agentur Fricke "Raum und Zeit".

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