Rezensionen

"Fixion" von Trentemøller

Die Platte des Jahres 2016

Ich fühle mich ertappt. Wenn ich die Namen betrachte, an die mich Trentemøllers neuestes Werk erinnert, liest sich das wie ein „Who is who“ meiner 80er-Lieblingsbands und jeder, der meinen Musikgeschmack ein wenig kennt, wird diese „Platte des Jahres“-Entscheidung mit einem trockenen „War ja klar …“ kommentieren. Sei es drum.

Bereits auf dem Vorgängeralbum „Lost“ deutete sich 2013 in Stücken wie „Still on Fire“ und „Deceive“ an, dass der dänische Produzent Anders Trentemøller, dem schon immer eine Neigung zu Indie- und Gothic-Rock nachgesagt wurde, Abschied vom Dancefloor genommen hat. Von seinen Anfängen in House und Techno ist heute so gut wie nichts mehr zu hören. Stattdessen scheint er sich mehr und mehr der Pflege des Erbes der Wave-Ära zu widmen, indem er den Sound von Ikonen wie The Cure oder den Cocteau Twins gekonnt in die Gegenwart transformiert.

„Fixion“ beginnt mit dem lässigen "One Eye Open", dessen Keyboardteppiche Erinnerungen an Joy Division oder – wenn man so möchte ­– auch an frühere Phillip Boa-Alben wecken. In diesem und auch im zweiten Stück („Never Fade“) scheint es so, als würde sich Trentemøller vorsichtig herantasten. Doch dann gibt das mechanisch düstere und nicht ganz einfach zu konsumierende "Sinus" unwiderruflich die Richtung vor, in die das skandinavische Soundgenie seine Hörer führen möchte. Längst hat das eigene Kopfkino auf „Soundtrack“ umgestellt und produziert die passenden Bilder, um dann mit dem gnadenlos treibenden "River In Me" – genial interpretiert von der Savages-Sängerin Jenny Beth – daran erinnert zu werden, welch phantastischer Songwriter der Däne ist. Mit einer hektischen Drum-Machine und markanten Synthesizer-Tönen geht dieses Stück gut als Verwandter früherer Depeche-Mode-Platten durch. Das darauf folgende psychedelische „Phoenica“ (Phönizien) braucht einen Moment, um sich zu entscheiden, bis letztlich ein finsterer Beat das Zepter übernimmt. Trentemøller beschäftigt sich hier mit der ausweglosen Situation in Syrien. „Redefine“ wirkt dagegen anfangs fast ein wenig harmlos aber die düsteren Bassläufe, die Marie Fiskers Gesang begleiten, schielen schamlos ins Joy Division-Lager und scheinen kommendes Unheil anzukündigen. Nach dem wabernden „My Conviction“ folgt mit dem geheimnisvollen, fast schon ätherischen „November“ eines meiner persönlichen Highlights dieser Platte. Spätestens jetzt ist der Hörer komplett in Trentemøllers schaurige, imaginäre Welt eingetaucht. Mit "Spinning" erreicht das Album schließlich seinen Marianengraben. Tiefer hinunter in die Düsternis geht es nicht. Das folgende „Circuits“ klingt wie eine nervöse Wiederholung von „Redefine“ und fällt im Vergleich zu den anderen Tracks ein wenig ab. Umso beeindruckender dann das dramatische „Complicated“ – für mich ganz klar der Favorit der Platte. Hier wird deutlich, wie gut die Französin Jenny Beth zu diesem neuen, zwischen Minimalismus, Dark-Wave und Elektropunk angesiedeltem Trentemøller-Sound passt. Siouxsie-Fans dürften an dieser Stelle die Freudentränen in den Augen stehen. Jeder Song, der nach solch einem Kunstwerk an der Reihe ist, hätte es schwer. Aber Lisbet Fritze von Giana Factory haucht ihrem bittersüßen und schwer nach The Cure klingendem "Where the shadows fall" die richtige Dosis Leben ein und erzeugt ein weiteres Mal Gänsehaut. Als Bonus-Track folgt eine reduzierte Version von Redefine.

Keine Frage, das Rad hat Trentemøller mit „Fixion“ nicht neu erfunden. Aber mit seiner schwermütigen, sinnlichen Melancholie und seinem perfekten Gespür für Timing und Rhythmus trifft der Meister aus meiner Sicht den Zeitgeist dieses merkwürdigen Jahres, in dem uns das eine oder andere Mal das Lachen verging, wie kein anderer. Wave stand schon immer für die Abkehr und die Entfremdung vom Alltagsgeschehen und bot Fluchträume, zu denen die Wirklichkeit keinen Zutritt hatte. Mit „Fixion“ gibt’s wieder einen, in dem wir für eine Stunde in Sicherheit sind.

 

Seit meiner (nun schon sehr lange zurückliegenden) Zeit als Musikredakteur eines Stadtmagazins, gehört das Küren der besten Alben des Jahres zu meinen Silvesterritualen. 2016 landeten diese Platten auf den Spitzenplätzen: 

  1. „Fixion“ – Trentemoeller
  2. „Not to Disappear“ – Daughter
  3. „Painting of a Panic Attac“ – Frightened Rabbit
  4. „Walls“ – Kings of Leon
  5. „Full Circle“ – Haelos
  6. „When on Fire“ – Christine Owman
  7. „Everything’s Amazing and Nobody is Happy“ – Abay
  8. „Awake“ – Folly & the Hunter
  9. „Barbara, Barbara, We Face a Shining Future“ – Underworld
  10. „A Moon Shaped Pool“ – Radiohead

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