Stil? Sicher!

Ein Nachruf

Heute verabschieden wir uns vom Halbgeviertstrich, auch als Gedankenstrich oder Langstrich bekannt. Wenn es darum ging, Sätze zu strukturieren und Kommata oder Klammern zu ersetzen, war er immer zur Stelle. Als Kuppler des Satzbaus verhielt er sich stets diskret und mogelte nachgestellte Ergänzungen und Einschübe geschickt unter. Er war das Satzzeichen für all jene, die sich nicht zwischen Punkt und Komma entscheiden konnten und ein Meister darin, mit lässiger Geste das Kopfkino in Gang zu setzen. Nichts liebte der stille Vermittler mehr, als den großen Auftritt vorzubereiten: die dramatische Wendung, den Geistesblitz, das unerwartete Ende ...

Doch dann kam ChatGPT. Die Software verliebte sich unsterblich in ihn. In jedem zweiten Satz brachte sie ihren Angebeteten unter. Meist charmant, manchmal unangemessen, in jedem Fall aber viel zu oft. Der Halbgeviertstrich, einst eleganter Federstrich von Heinrich von Kleist, wurde plötzlich zum Massenphänomen.

„Sieht aus wie KI“, flüsterten die Schreibenden von nun an bei jedem Text, in dem der Pausenpapst auftauchte und vermieden es, ihn einzusetzen. Autoren und Autorinnen, einst seine treuen Freunde, wandten sich von ihm ab. Es kam zum typografischen Burnout.

Heute trauert die deutsche Sprachgemeinde. Mach's gut, du kleiner Brückenbauer.

Vielleicht sieht man sich mal wieder. Irgendwo in einem Nebensatz. Wenn keiner hinschaut.

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