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Das Labormobil rockt

Ein spezielles Fahrzeug mit modernster Laborausstattung ermöglicht es der Prozessanalytik, einen großen Teil ihrer Analysen direkt vor Ort durchzuführen. Matthias Tiller fährt den weißen Sprinter und seine Vorgänger bereits seit der Jahrtausendwende. Wir haben ihn einen Tag lang begleitet.

Es ist kurz vor 8 Uhr. Im Vattenfall Labormobil läuft Hard Rock. „Das Beste, um wach zu werden“, erklärt Matthias Tiller, während er auf die Spandauer Otternbuchtstraße biegt. Da er im Außendienst meist allein auf dem Fahrzeug ist, muss er sich nicht nach dem Musikgeschmack der Kollegen richten, erklärt er verschmitzt.

Der Berliner Verkehr stellt die Geduld des 58-jährigen mal wieder auf die Probe. Es dauert eine Stunde, bis das Spezialfahrzeug endlich durch das Tor des Heizkraftwerks Buch rollt. Etwa 25 Heiz- und Heizkraftwerke sowie etliche Heizstationen steuert Herr Tiller in unterschiedlichen Turnussen an. Seine Aufgabe ist es, vor Ort Proben einzuholen und sie später mit modernster Analysetechnik unter die Lupe zu nehmen. Sämtliche Wasser-, Dampf-, Entschwefelungs- und Rauchgasreinigungsprozesse in den Erzeugungsanlagen und Fernheizwasserqualitäten werden kontinuierlich kontrolliert. Einen großen Teil der Laboranalysen kann Herr Tiller direkt im Mobil machen. Das spart enorm viel Zeit. Der Rest wird im Zentrallabor untersucht.

In Buch stehen heute Wasserproben auf dem Programm. Er wird sie an ca. zwei Dutzend unterschiedlichen Stellen entnehmen. Zusätzlich muss er verschiedene automatisch gemessene Werte auf herkömmliche Weise nachkontrollieren. Das ist notwendig, um das exakte Funktionieren der Messgeräte zu überprüfen. Jeder Wert wird genau protokolliert. Liegt er außerhalb des Toleranzbereichs, informiert Tiller die Leitwarte, die daraufhin entsprechende Maßnahmen ergreift. Heute stellt er zum Beispiel fest, dass die Leitfähigkeit des Kessels zu hoch liegt.

Die regelmäßigen Analysen und Bewertungen sind für die Funktionsfähigkeit und Langlebigkeit der Anlagen von großer Bedeutung. Herr Tiller vergleicht das mit einem Wasserkocher aus dem Haushalt. „Wenn Sie ihn kaufen, sieht innen alles noch nagelneu aus. Selbst nach vier Wochen hat sich nicht viel verändert. Schauen Sie aber nach einem Jahr mal wieder genauer hin, sehen Sie, wie sich eine Kalkschicht gebildet hat.“ Angesichts der Dimensionen an Wasser, die in Erzeugungsanlagen bewegt werden, ist die Bedeutung der ständigen Kontrolle leicht zu verstehen. Doch nicht nur das Wasser wird geprüft, sondern auch die Qualität von Nebenprodukten der Erzeugung wie Gips, SO2, Flugasche und Granulat.

Labormobile fährt Matthias Tiller schon seit mehr als 15 Jahren. Als seine Vorgängerin aus dem Unternehmen ausschied und er gefragt wurde, ob er ihr Fahrzeug und die damit verbundenen Aufgaben übernehmen möchte, hatte er den Führerschein erst seit einem halben Jahr. Heute „schwimmt“ er mit dem sieben Meter langen Kleinlaster Tag für Tag sicher durch den Stadtverkehr. Ins Unternehmen kam er bereits vor 42 Jahren. Er erlernte den Beruf des Chemiefacharbeiters und verbrachte einen großen Teil der 80er- und 90er-Jahre in den Kraftwerken Lichtenberg (heute Marzahn) und Klingenberg. Wenn er dort unterwegs ist, trifft er auf viele bekannte Gesichter. Manche von ihnen kennt er bereits seit der Ausbildung. Bei diesem Gedanken wird dem gebürtigen Berliner ein wenig bange. Die Erfahrung seiner Generation wird nur noch ein paar Jahre zur Verfügung stehen. „Wir könnten Nachwuchs gut gebrauchen, um unser Know-How weiterzugeben.“ Dabei geht es ihm besonders um die vielen kleinen Dinge, die man in keiner Arbeitsanweisung festhalten kann. „Wenn ich in eines der Kraftwerk hineinkomme“, sagt er, „dann spüre ich sofort, ob alles funktioniert. Man bekommt ein Gefühl dafür, ob der Kessel normal läuft, ob ein Austauscher gerade regeneriert wird oder eine Pumpe anders klingt als sonst. So etwas zu verinnerlichen, braucht einfach seine Zeit.“

Er zuckt mit den Schultern, als wolle er signalisieren, dass er dafür auch keine schnelle Lösung kennt, und füllt den nächsten Erlenmeyerkolben auf. Exakt 100 ml müssen es sein. Man sieht seiner Handbewegung an, dass er sie schon hundertausend Mal ausgeführt hat. Eine Wette, die richtige Menge mit verbundenen Augen genau abfüllen zu können, würde er jederzeit annehmen.

Nachdem die Analyse beendet ist und alle Werte notiert sind, bleibt endlich Zeit für das Stullenpaket. Jetzt noch mit dem Betreiberpersonal die Ergebnisse der Analysen besprechen, und danach geht es zurück ins Zentrallabor. Bis zum Feierabend gibt es noch ein wenig Bürokram zu erledigen und Vorbereitungen für den nächsten Tag zu treffen, der ihn wieder quer durch die Hauptstadt führt. Was ihn erwartet, weiß er noch nicht genau. Nur die Musik, die aus den Boxen kommen wird, die kennt er schon.

Dieser Text erschien im Mitarbeiter-Newsletter von Vattenfall Wärme Berlin.

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