Textprobe

Blut, Schweiß und echte Tränen

Nulty versuchte sich zu konzentrieren. Im Nebenraum war es still geworden. Die Armenier hatten offenbar gefunden, wonach sie suchten. Wahrscheinlich waren sie längst wieder auf dem Santa Monica Highway, doch hier drinnen traute sich noch keiner ein Wort zu sagen. Nur die altmodische Wanduhr tickte unerbittlich, so als wäre sie allein dafür verantwortlich, dass die Zeit voran schritt. Es klang wie ein Countdown auf der Ziel­ge­raden, wenige Sekunden vor einer riesigen Detonation, die das Lokal mitsamt Nulty, den unterbezahlten Kellnerinnen und Latino-Tellerwäschern sowie den Crack-Dealern vor der Tür geradewegs in die Hölle befördern würde. Er musste hier raus.

Langsam hob Nulty den Kopf. Vorsichtig tastet er nach seiner rechten Augenbraue von der unablässlich Blut tropfte. Sein Rücken schmerzte, als hätte ihm jemand einen Billardtisch ins Kreuz geworfen. Das Atmen fiel ihm schwer, der Brustkorb brannte. Vermutlich hatten eine oder zwei Rippen etwas abbekommen, als ihm die Schläger eine Reihe von Fußtritten verpassten. Noch immer hing ihr Gestank in der Luft, eine abstoßende Mischung aus Knoblauch, Schweiß und Wodka. Nach und nach würden sie damit die ganze Stadt verpesten.

Er nahm alle Kraft zusammen und zog sich an der verchromten Stange des Bartresens nach oben. Von der Straße drangen Sirenengeräusche herein. Seine Kollegen durften ihn hier auf keinen Fall sehen. Sie würden Fragen stellen und genau wissen wollen, was er hier zu suchen hatte. Besser er nahm den Hinterausgang. Unter der Küchentür hatte sich eine Blutlache gebildet. Nulty versuchte sie zu öffnen, doch ein lebloser Körper versperrte den Weg. Als sie sich endlich öffnen ließ, stockte ihm der Atem. Da lag Maria. Ein Querschläger hatte sie direkt an der Halsschlagader erwischt. Ihre Augen starrten in eine andere Welt. Nulty sackte zusammen. Seit er an dem Armenier-Fall ermittelte, war Maria für ihn nicht nur irgendeine Infor­man­­tin, sondern eine echte Freundin. Sie hatte oft darüber gesprochen, bald zurück nach Argentinien zu gehen. Ein paar Jahre noch, dann würde das Geld für eine eigene kleine Bar in Buenos Aires reichen. Nun endete ihre Reise auf einem Arme-Leute-Friedhof in Inglewood. Vor dem Lokal stoppten zwei Streifenwagen. Es war höchste Zeit das Weite zu suchen. Nulty wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht und verpasste der Hintertür einen Tritt. Die Sonne blendete ihn, als hielte sie das alles hier für ein B-Movie.

Dieser Text erschien im Rahmen einer Wettbewerbspräsentation für die VG Wort.

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