Textprobe

Bitte alles anfassen!

Gudrun Homuth, Physiklehrerin an der Schiller-Grundschule Potsdam, sitzt entspannt bei einem Becher Kaffee und schaut ihrer Klasse zu. „Läuft prima“, sagt sie zufrieden. Dabei macht in ihrer 5 b gerade buchstäblich jeder, was er will. Ein paar der Jungs versuchen herauszufinden, warum Strom in den Fingern kribbelt. An einer anderen Station wird ausprobiert, wie sich der eigene Schatten einfrieren lässt. Nebenan ziehen drei Mädchen mithilfe eines Flaschenzugs spielend leicht einen Trabant in die Höhe. Der Rest der Klasse ist damit beschäftigt, ein Legolabyrinth zu bauen, in dem später eine lebende Maus den kürzesten Weg zu ihrem Futter suchen soll. Diese und rund 130 weitere interaktive „So-funktioniert-die-Welt“-Exponate warten im Potsdamer Exploratorium darauf, erkundet zu werden.

„Kinder sind die geborenen Forscher. Sie wollen die Welt verstehen“, sagt Kurator Dr. Axel Werner. „Aber im Schulunterricht kommt das Entdecken und Experimentieren oft zu kurz. Meist sehen die Schüler keinen Zusammenhang zwischen dem Gelernten und ihrem Leben. Das ist bei uns anders.“ Der 44-jährige Physiker gehört zu einer Gruppe engagierter Eltern, die das Exploratorium vor vier Jahren als private Initiative gegründet haben. „Wir wollen mit unseren Angeboten die Neugierde wecken und zu einem breiteren Interesse an Wissenschaft führen“, sagt der gebürtige Leipziger. „Die Kinder erfahren bei uns, dass es sehr spannend und interessant sein kann, Naturphänomene zu verstehen.“

Im Mittelpunkt aller Experimente steht der Spaß. Deshalb sind die rollenden Kugeln, schwebenden Bälle, Röhrentelefone oder Balancierscheiben nicht nach Themengebieten sortiert, sondern wie auf einem riesigen Spielplatz quer über die etwa 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche der Mitmachwelt verteilt. Dort haben die Fünftklässler inzwischen längst die nächsten Stationen geentert. Schließlich gilt es noch herauszufinden, wie ein Heißluftballon funktioniert, was ein Tornado in einer Wasserflasche macht und wie Bewegungen in Vogelgezwitscher verwandelt werden können. Am meisten Spaß macht den Kindern offensichtlich das Schokokuss-Experiment. Unter der Käseglocke mit angebauter Saugpumpe platzt die braune Kruste des Schokokusses schon nach wenigen Zugbewegungen, und die Leckerei bläht sich auf wie ein Luftballon. Beim anschließenden Naschen lassen sich die Kinder bereitwillig von den Tutoren erklären, was es mit einem Vakuum auf sich hat. Neben den Exponaten haben die Macher der Mitmachwelt eine ganze Palette an Workshops und Experimentierkursen im Programm. Darin werden Geheimschriften entziffert, Solarzellen gebaut oder herausgefunden, wie Sonnenlicht schmeckt. Lehrer können sich in speziellen Fortbildungsseminaren auf die Kurse vorbereiten und sie perfekt in ihre Unterrichtsgestaltung einplanen. Auch in den Ferien erfreut sich das Exploratorium großer Beliebtheit. Dann hat es sogar täglich geöffnet und bietet teilweise ganztägige Betreuung. In den sogenannten Science Camps widmen sich die kleinen Forscher jeden Tag einem anderen Thema, zum Beispiel dem Floßbau, der Wettervorhersage oder der kriminalistischen Spurensuche.

Für die Zukunft haben Dr. Werner und sein Team noch eine Menge vor. Seitdem im Herbst 2008 der Filmpark Babelsberg als Hauptgesellschafter einstieg, ist ein Umzug auf dessen Gelände, gewissermaßen also auf die andere Seite der Großbeerenstraße, im Gespräch. Spätestens 2012 soll dort ein neues Exploratorium entstehen, das über mehr Platz verfügt. Es soll im Stil eines Energiesparhauses gebaut werden und selbst als Exponat fungieren. Speziell für die Experimentierkurse wird dann wesentlich mehr Platz vorhanden sein, sodass die Angebote auch auf Jugendliche bis hin zur Abiturstufe erweitert werden können.

Für die zehn- bis elfjährigen Schüler der Schiller-Grundschule ist die Zeit im Exploratorium wie im Flug vergangen. Viele wollen unbedingt wiederkommen. Zum Beispiel mit den Freunden beim nächsten Kindergeburtstag. Oder am Wochenende mit den Eltern. Die dürfen hier nämlich gerne mitforschen, staunen und neugierig sein. Und vor allem: alles anfassen!

Dieser Text erschien in "Sanssouci", dem Kundenmagazin der MBS (Mittelbrandenburgische Sparkasse).

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