Glosse

Alle Frauen an Bord!

Ich gehöre gewiss nicht zu der Sorte von Schreibenden, die an einmal verinnerlichten Regeln ein Leben lang festhalten müssen. Die Rechtschreibreform habe ich 1996 ebenso klaglos hingenommen wie ihre Novellen. Auch Texte in Leichter Sprache bekomme ich dank eines Spezialdudens und verschiedener Online-Tools ganz gut hin. Beim Gendern sieht die Sache schon ein wenig anders aus.

Die Frage, welche Genderschreibweise gewünscht ist, gehört bei Briefings für mich inzwischen ebenso zum Standard wie die nach der Tonalität. Gendersternchen, Binnen-I, Schrägstrich, Mediopunkt, Doppelform oder Gendergap – ganz gleich, wie die Entscheidung ausfällt, mit den amtlichen Regeln der deutschen Rechtschreibung ist sie nicht vereinbar. Den Amtsschimmel (oder sollte ich besser sagen, die Amtsstute) scheint das nicht zu interessieren. Kuriosestes Erlebnis aus meiner beruflichen Praxis war eine stilistisch konsequent an Redewendungen aus der Seefahrt angelegte Broschüre, die von einer Genderbeauftragten eingestampft wurde, weil ihr die Titel-Headline Alle Mann an Bord nicht zusagte.

Angesichts der Tatsache, dass die Diskussion um gendergerechte Sprache schon seit den 1970er (!) Jahren läuft, sind wir ein halbes Jahrhundert später noch nicht sonderlich weit gekommen. Ich denke, Sprache findet immer ihren Weg. Neue Begriffe oder Schreibweisen tauchen auf, alte Wörter verschwinden wie von selbst. Sollte man Lesern und Hörern nicht am besten in der Sprache begegnen, die sie sprechen? Versuche, Sprache anzupassen, um moralische Vorstellungen durchzusetzen und alle, die sich nicht daranhalten, zu verurteilen, sind in der Geschichte schon häufig schiefgegangen.

„Stop!“ werden jetzt all jene einwenden, die den neuen Regeln wohlwollend gegenüberstehen. Sprache ruft Assoziationen hervor und erzeugt Bilder im Kopf, sagt die selbsternannte Sprachavantgarde. Wenn wir in den Nachrichten immer nur von Politikern, Bürgern oder Ärzten sprechen, dann hat das auch Auswirkungen auf unser Weltbild. Stimmt! Aber dann bitte konsequent.

Man liest bisher keine Headlines wie »Jede achte Berlinerin ist pleite«, »Beraterinnensumpf bei der Bundeswehr, »Bürgerinnenkrieg in Libyen«, »Jede Sechste lebt in Armut« oder »Schluss mit der Vetterinnenwirtschaft«. Es wird nie nach den Hinterfrauen eines Verbrechens gesucht, kein islamistisches Terroristinnennetzwerke ausgehoben, das »Ende der Ausbeuterinnengesellschaft« beschworen, ein Bäuerinnenopfer gebracht oder ein Bärinnendienst erwiesen. Es gibt kein Anglerinnenlatein, nie ist eine Geisterfahrerin unterwegs, man hört weder etwas von Paragraphenreiterinnen, noch von Sesselfurzerinnen, Korinthenkackerinnen oder Quartalssäuferinnen. Ebenso wenig werden in der Provinz nirgends die Bürgerinnensteige hochgeklappt, macht jemand aus seinem Herzen keine Mörderinnengrube oder die Ziege zur Gärtnerin. Nie verderben zu viele Köchinnen den Brei, keine Lauscherin an der Wand hört ihre eigene Schand und die Formulierung »stur wie eine Eselin« ist mir auch noch nicht untergekommen.

Wie bereits gesagt: Mit einer einheitlichen Regelung könnte ich leben. Der aktuelle Flickenteppich bewirkt allerdings eher das Gegenteil. Er führt dazu, dass viele Traditionalisten aus Prinzip nicht gendern – so wie sie auch nie die Degradierung des „ß“ akzeptieren wollten. Der theoretische Unterbau für eine mehrheitsfähige Lösung sollte eigentlich vorhanden sein. Schließlich verfügt Deutschland über genug Lehrstühle zu Gender-Studies. Über wie viele genau? Laut Wikipedia sind es 200. Alte Schwedin!

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